Besuch bei den Shuars und hoher Besuch bei uns zu Hause (Teil 1)

Bekannt geworden ist das Indigene Volk der Shuars, für die Schrumpfköpfe, Tsantsas genannt. Den feindlichen Krieger köpften sie und schrumpften sein Haupt in einem aufwändigen Verfahren. Sie nähten die Ohren, Augen und den Mund zu, damit die Seele nicht entweichen und sie somit die Kontrolle über den Feind erlangen konnten. Sie glauben nämlich an Wiedergeburt.

Bei unserem Besuch wurden keine Köpfe sondern nur noch Bananen gekocht. Ana, die Grossmutter von Yesenia, meiner Schwägerin, bereitet auf dem Feuer die kleinen Bananen vor. Sie läuft noch Barfuss und hat gerade mal 10 Kinder in ihrem Haus und ohne Hilfe einer Hebamme oder sonstigen medizinischen Hilfsmittel auf die Welt gebracht. Auch all ihre Töchter haben zu Hause ihre Kinder geboren.

Es gibt keine Elektrizität und da sie fast kein Geld haben gibt es auch keine Wasserleitung zum Haus. Das Wasser welches aus dem Fluss geholt wird, wird in einem Plastiktank gelagert. Dieses Wasser ist zum Kochen und für den Abwasch gedacht aber die Kinder benutzen es auch um ihre klebrigen und Erdigen Hände zu waschen oder sich gegenseitig nass zu spritzen. Mit diesem besagten Wasser wird auch das berühmt, berüchtigte «Andenbier» oder «Spuckebier» gebraut. Der Maniok wird im Mund gekaut, mit ganz viel Speichel vermischt und dann ohne Speichel ausgespuckt. Daraus entsteht ein fermentierter Brei. Dieser Brei der «Chicha» genannt wird, verleite den Shuars noch mehr Stärke und lässt den Hunger verschwinden. Es ist eine Sünde, wenn man dieses «Spuckebier» bei einem Besuch der Shuars ablehnt. Mir ist es ehrlich gesagt lieber eine Süde zu begehen als in diesem Erdenleben wegen eines Getränks im Spital zu landen. Mein Schwager hatte letztes Mal nach dem einnehmen des Getränks tagelang Bauchkrämpfe und einen richtig schlimm aufgeblähten Magen. Also, lassen wir das mit dem Spuckebier lieber sein und hoffen wir darauf, dass uns diese Sünde verziehen wird und auch in der Hölle keine Köpfe mehr geschrumpft werden.

Rafico, der Grossvater von Yesenia meinte zu mir, dass er sich reich fühlte, denn sie lebten Gesund, noch in einer Welt ohne Pflanzenschutzmittel und Chemie. Sie hätten viel Land um ihre Früchte und das Gemüse anzupflanzen und im Fluss gibt es reichlich Fische. Früher seien die Shuars nie krank geworden. Heute, wo Zucker, Salz und Chemie unseren Alltag beherrschen werden auch sie krank. Der Grossvater ist mir sehr sympathisch und scheint viel Urwissen zu besitzen. Von Yesenia weiss ich, dass er auch Geschichtenerzähler ist. Als sie klein war, erzählte sie mir, dass die Arbeiter vom Feld kamen und dann gab es am Feuer eine grosse Versammlung. Der Grossvater erzählte, wie das Feuer zu den Menschen kam, wie Gott die Welt schuf usw. Diese Themen interessierten mich natürlich viel Mehr als das Andenbier das auch durch die Fermentierung einen leichten Rausch geben kann. Die Shaurs haben auch eine grosse Tradition mit Ayahuasca. Dieses halluzinogene Getränk verwenden sie um Visionen zu sehen, um zu heilen, um zu erkennen wer die zukünftige Ehefrau sein wird und sie sehen im vorhinein, welchen Feind sie besiegen müssen. Je nach grösse des Landbesitzes darf ein Mann bei den Shuars bis zu 5 Ehefrauen haben. Die Versorgung der vielen Kindern muss aber durch deren Landbesitz gewährleistet sein.

Die Familie von Yesenia, hat kein Badezimmer. Es gibt ein WC Häuschen 5min vom Wohnhaus entfernt, welches auch eine Dusche beinhaltet. Dieses Häuschen wird mit den Nachbarn ringsherum geteilt. Als ich da mal für kleine Mädchen musste, sah ich ein Primarschulheft, dass dort als Klopapier benutzt wurde. War ich schockiert? Ja! Aber ich weiss, dass dies vor 60-70 Jahren in der Schweiz auch eine Realität war. Schon verrückt wo wir heute in der Schweiz stehen und wie es vor ein paar Jahren noch ähnlich aussah wie in Teilen Ecuadors.

Ein weiterer Schockmoment war, als ein Shuar zu uns gerannt kam und mitgeteilt hat, dass drei Kinder auf einem Motorrad in ein Taxi geprallt war. Leider kam der Nachbarssohn dabei ums Leben. Alle Shuar Frauen versammelten sich um das Handy des Mannes und schauten entsetzt auf das Bild mit der Mutter und ihrem toten Sohn in ihren Armen. Keine von den Frauen hatte nur eine Träne in den Augen. Mir flossen natürlich die Tränen nur so herunter. Es berührte und bewegte mich zu tiefst. Die Shuars sind dafür bekannt, dass sie keine Gefühle zeigen. Sie haben wirklich auch ein hartes Leben und man sieht ihnen das Kriegerblut deutlich an.

Warum sind wir überhaupt zu Besuch bei den Shuars? Da wir ja ausgewandert sind, interessiert mich natürlich diese Fülle der verschiedenen Kulturen in diesem vielfältigen Land. Eines dieser Kulturen hautnah kennen zu lernen und «Familie» zu sein ist einfach enorm spannend und auch für unsere Kinder wichtig. Wie ihr ja wisst, sind Leo und ich auch Geschichtenerzähler. Die Geschichten der Familie von Yesenia, möchte ich gerne niederschreiben und so dafür sorgen dass Etsa, der Sohn von Yesenia und meinem Schwager, die Kultur und Geschichte weitertragen kann, denn das Wissen und die Weisheit des Grossvaters wird nach seinem Tod sehr wahrscheinlich vergessen gehen.

Ja, wir haben auch ganz viele Geschichten zu erzählen. Nur an einem Tag auf «Besuch» könnten wir schon einen halben Roman niederschreiben. Ecuador bedeutet für mich das pure Leben erleben in seinen Tiefen und Höhen. Wir sind nun schon 6 Monate ausgewandert und die Flut an erlebten ist enorm. Daher wusste ich auch gar nicht mit was ich in meinem weiteren Blog starten sollte und sah vor lauter Bäume den Wald nicht mehr. Die liebe Madeleine hat mich aber dazu animiert, wieder drauf los zu schreiben und so entstand dank ihr dieser neue Text für euch.

Im zweiten Teil erfahrt ihr dann dass wir nicht nur auf Besuch waren, sondern eben auch hohen Besuch empfangen durften.

Ich hoffe euch geht es allen gut und wir senden herzlichste Grüsse zu euch allen!

Grossmutter Ana beim Bananenkochen
Das Haus von Grossvater Rafico
So sieht es im Innern des Hauses aus. Ein Bett ohne Matratze, für en tüüfe gsunde Schlaf.
Ein weiteres Haus mit Amaru und dem magersten Hund, den ich je gesehen habe. Die Tiere hier sind wirklich stark unterernährt.
Die Shuars haben viele Kinder
Schuhe, nein danke! Wunderbar geerdete Füsse von Ana