Bevor ich zum Drama übergehe, möchte ich euch nochmals ganz herzlich für eure enorm grosszügigen und zahlreichen Spenden für Rio Negro danken. Wir sind am Freitag 40 Essenspakete verteilen gegangen und morgen werden nochmals 10 Pakete an betroffene Menschen und Familien verteilt. Ich bin überwältigt von eurem Vertrauen, eurer Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft. Muchisimas gracias! Sobald es wieder Hilfe benötigt, werden wir mit den Spendengeldern weiter unterstützen.
So nun zur angekündigten Alvarado Tele Novela…
Nein, es ist keine Rutschung bei uns niedergegangen, auch sind wir Gott sei Dank nicht in den Wassermassen versunken. Glücklicherweise sind wir nach fast 3 langen Wochen auch nicht mehr von der Aussenwelt abgeschnitten. Die Strasse nach Baños ist seit Mittwoch wieder durch eine provisorische Brücke passierbar. Aber auch das Erdbeben, dass Leo bei seinem Blitzbesuch in Quito vergangenes Wochenende erlebt hat, ist nichts zum «Vulkanausbruch» das indessen über die Familie Alvarado niedergeht.
Wovon spreche ich denn genau? Die Flut an heiss kochenden Gerüchten und sprudelnden Vermutungen ähnelt wirklich einem Vulkanausbruch. Seit 3 Tagen herrscht Ausnahmezustand in «La Martinez», im Wohnviertel, wo wir zu Hause sind.
Die Menschen in Rio Verde, welche ihr Zuhause, ihre Familien und ihr Hab und Gut durch die Schlammlawine verloren haben, müssen so schnell wie möglich umgesiedelt werden. So weit, so gut.
ABER das soll nun auf unseren Ländereien der Alvarados passieren – ohne unser Mitwissen oder eine Vorwarnung. Die Provinz Tungurahua will wirklich unsere Ländereien enteignen. Über die ganze Situation sind wir nie von offizieller Seite informiert worden, sondern die Menschen aus dem Dorf haben uns verwundert gefragt, ob denn das, was sie in den News lesen und hören, wahr sei. Sie hätten die Neuigkeiten vor mehr als einer Woche im Radio gehört und ein Zeitungsartikel ist uns auch in die Hände gefallen: https://www.eluniverso.com/noticias/ecuador/miduvi-destinara-mas-de-4-millones-para-construir-casas-y-reubicar-a-afectados-por-deslizamiento-en-rio-verde-nota/?outputType=amp .
Weiter wurde beobachtet, dass mehrere Menschen unsere Ländereinen ohne Einwilligung besucht hätten und sogar illegal Vermessungen vorgenommen haben. Die Alvarados, das sind alle Erben des Grossvaters Finado Alfonso, sind davon betroffen. Das sind, inklusive uns, 10 Familien. Die Familie Alvarado existiert, seit es das Dorf Rio Negro gibt. Also ca. 70 Jahre. Das Land, auf dem wir unser Haus gebaut haben, ist dabei nicht betroffen, unsere Umgebung würde aber nachhaltig verändert werden, weil wir unmittelbar daneben wohnen. Ausserdem haben wir vom Abuelo eine halbe Hektare geerbt, die jetzt enteignet werden würde.
Ca. 150 Familien aus Rio Verde sollen nun auf unsere 10 ha Land umgesiedelt werden. Erschrocken über diesen Verlauf, rief der Bruder von Leo den Stadtpräsidenten an, um zu fragen, ob die Gerüchte wahr sind. Dieser erwiderte kühl, dass es stimme. Auch als Leo und seine Familienmitglieder ihn auf der Strasse persönlich angesprochen haben, wiederholte er, dass es korrekt sei. Als sie fragten, warum sie nicht informiert wurden, sagte er kaltblütig, er schulde niemandem eine Erklärung.
Seit dem ist Leo nur am Telefon. Sei es mit Anwälten oder Familienmitgliedern. Eine Enteignung ist dann machbar, wenn das Notrecht eintritt. Dies beinhaltet, dass die Ländereien unproduktiv, also nicht für Fruchtfolge geeignet sind und als «verlassen» gelten. Dass das Land überhaupt infrage kommt, scheint uns nicht nachvollziehbar, denn es gibt ganz viele Fruchtplantagen mit Zitronen, Mandarinen und Orangenzitronen, sowie weiteren Früchten. Die Argumentation des Stadtpräsidenten von Baños war, dass es nur 2 Personen betreffe, die Umgesiedelt werden müssten, damit 150 Familien platz bekämen. Die Betroffenen sind der Vater von Leo und der Onkel. Auf dem Papier scheint das logisch und als «einfache Lösung», doch die Realität sieht anders aus. Die beiden Männer sind auf diesem Land geboren, und es betrifft nicht nur sie zwei, sondern etwa 50 Menschen. Die Cousine, mein Schwager und Onkel sind vor vergossener Tränen kaum wiederzuerkennen. Alle kämpfen mit Kopfschmerzen oder Bauchweh. Es wird hier heftig durchgerüttelt.
Das Absurdeste von allem ist, dass es Ländereien ca. 100 m entfernt gibt, die wirklich verlassen und ungepflegt sind und die Parameter idealer erfüllen würden. Unsere Ländereine seien aber die günstigsten. Diese «Verlassenen Ländereinen» gehören Reichen Menschen aus Quito und Ambato, welche das Land vermutlich aus Spekulationsgründen gekauft hatten. Laut Stadtpräsident ist das Verfahren schon am Laufen und den vulnerablen Menschen von Rio Verde wurden schon das Blaue vom Himmel versprochen.
Wir sind sprachlos und doch wie immer voller Zuversicht. Auch das SRF ist momentan anwesend, um unser Familien-telenovela-Drama hautnah mitzufilmen. Die schlaflosen Nächte sind nicht immer negativ. Leo hat dadurch hoffentlich, mit der Hilfe des Internets, eine Lösung gefunden wie die Landenteignung aufgelöst werden kann… Wir halten euch auf dem Laufenden.